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Plattdeutsch / Sütterlin

Plattdeutsch: "Allerhillgendagg"

Für unsere Leser, die der plattdeutschen Sprache zugetan sind, veröffentlichen wir hier eine Geschichte von Hans Sasse (*1923 +2019) natürlich mit hochdeutscher Übersetzung.

Allerhillgendagg

De Allerhillgendagg niegentainhunnertdreiundiärtig was‘n graoen, griesen Novemberdagg, wo et garnich recht hell wärn‘n wull. Et was nich grad niewelik, owwer so lück dunstig, sodat et auk baol wier duster waor.

Ick was in‘n Summer tain Jaor aolt wuorn, äs mien Beßvader meddags nao‘t Iärten to mi sagg: “Du Jänsken, wi mött‘t met de Sieg nao‘n Buck. Gaoh men met, hen löpp se ja gans guet, owwer trügg, dao moss du se mi n‘ bietken driewen.“ Wat bleef mi üöwer, ich moß met.

Naomdaggs, so um half veer harüm, trocken wi beiden met usse Siege los. Beßvader har se an‘t Strick uun ick laip de tiegenhier. De B‘ucksttion von‘n Siegenzuchtvereen lagg ächtern Jahnplatz uun wi mossen met de Sieg an‘n Dautenkerhoff vörbi. De iärsten Kinner gongen all met iähre Fackeln loss. Ick wuör auk leiwer met miene Fackel naon Kerkhoff gaohn. Ut ne graute Runkel har ik mi ‘ne schööne Fackel makt. Sölwst Oma, de süss nich viell sagg, mende: „De häs owwer würglik fien makt.“

Un ‘n bietken schaneerlik was‘t mi auk, dat wi just an sonn‘n haugen Fierdagg met usse Sieg lostrecken mossen.

Unnrwäggens frogg ik Beßvader: „Du Opa sagg äs, worum mött‘t wdi denn eegentliks no‘n Buck?“

He keek mi graut an, gnesere lück verliägen, un sagg: „Och Jung, wat kanns du dumm fraogen. Dat weest du doch, dat de Siegen in‘n Winner güst sind, un wennse drüg staoht, dann gaiht man daomet nao‘n Bock, dat se in‘t Fröjaor wier melk wärt.“

Ik häww dann nich mähr wieder froggt, wildat ik den Gröschken, denn he mi süss wull gaff, wenn ik em n‘ Gefallen daon har, nich up‘t Spiell setten wull. Denn ut de Art, wi he dat saggt harm, wuss ik, dast ik nu de Snut haollen mogg.

Äs wi dann in de Näöchte von de Buckstation quammen, trock mi all de scharpe Rüeck von de Siegenbücke in de Niäs. Beßvader bann de Sieg buten an‘n Ring an de Huuswand an un wi beide gongen in‘t Huus harin. De Siegenvader satt in‘n Sessel ächtern Dischk un was an‘t Kaffedrinken.

„Jans, bis auk dao met diene Sieg“, begrüssere he mienen Beßvader.

„Jau“, mende de, „se is bükschk, un dän Hennigen dao – he wees op mi – däön häww‘k metbracht, dat he se mi trügg n‘ bietken driww. Du weest doch, wi häww‘t n‘ üörnlik End te laupen.“ „Dat ist würglik n‘ wieden End bis nao ju“, sagg de Siegenmoder, de an‘n Härd bi‘n Kaffeekiedel stonn.

„Häs di män n‘ Handwagen metbracht“, sagg de Siegenvader, dat doet de Annern auk wull äs för‘n Trüggwägg“. „Büss nich wies, Bähnd“, raip Beßvader, „an‘n haugen Fierdagg mt‘n Bollerwagen un dann nao an‘n Kerkhoff vörbi? Ne, ne wenn Jänsken se trügg n‘ bietken driww, dann sall dat wull gaon.“ „Jä, dan wocht man n‘ Augenschlag, ik mott iäms Kaffedrinken“, mende de Siegenvader.

Vüör sik up‘n Dischk har he n‘ Kümken met Kaffee staohn un up‘n Teller lagg n‘ Schinkenbuoterbraut. Up de linke Schuller, so halw up‘n Arm har he n‘ mächtig grauten Bolsen liggen. Ik wuss nich wat ik saog, he lait de Katt van sien Buoterbraut affbieten. Wenn mi dat een vertellt har, ik här glowwt, dat he mi vüör‘n Döttken haollen wull. Äs de Siegenvader un siene Katt dann ferrig giärten haren, drank he sien kümpken lierig, lait de Katt von‘n Arm springen, putze sik met den Hiemdsiärmel dat Mul äff, stonn up un sagg: „So, Jans, nu laot us man äs kieken“ un to mi: „Jünsken, du moss owwer hier bliewen.‘“ Nu satt ik met de Siegenmoder alleen in de dimmerige Wuenküek. Se wull mi n‘ Flätzken giewwen. Dat wull ik nich häbben. Ik weet et nich mär, mok det afschailike Bucksgestank, de in alle Pöste satt, off har‘k de Niäs vull, wildat ik toseihen most, äs he de Katt met sein Buoterbraut foert har. Dann baut se mi n‘ Appel an. Denn häwwik annuemen, um se nich ratz vüpör‘n Kopp te stauten.

Nao ne Wiele quamm de kSiegenvader wier harin un sagg to mi: „So Jüngsken, nu gaoh män no buten, Beßvader wocht al op di“.

Et was all düster worn,äs wi met usse Sieg wier an‘n Kerkhoff vüörbiquammen. Opa laip vüörn un ik ächter de Sieg. Dao quammen us de viellen Lüe in de Möte un de Kinner alle met iähre Fackeln. Un daobi quamm mi miene schöene Runkelfackel in‘n Sinn, so ik mi soviell Arbeit mit maket har und de so fien löchten dai, wenn ik ne Kärß drin anstickt har.

Wi mössen manks staohn bliewen, well de Sieg dat Laupen lück suer wuor. Nu, dat löt sik denken, wenn ‘ne Sieg, de dat heele Jaor in‘n Stall staiht, up eenmaol son‘n wieden Wägg maken mott.

Wi quammen owwer guet te Huus wier an, daien de Sieg in‘n Stall un gongen ächtenrüm in de Küek. Dao stonn Beßmoder un sagg: „Sint je all wier dao? Is se trügg guet laupen?“

Dao pock Opa in de Taschk un trock sein Pottmannee harut, kraomere in sein Kleingeld harum un gaff mi n‘ Füfftigpennink-stück. Ik was baff. Füfftig Penninge, dat was viell Geld un ik sprang vüör Biesterigkeit von een Been up‘t annere. Om frogg nieschierig: „Wies äs, wat hätt he di giebben.“ Ik haoll iähr arglos miene Hand met dat Geldstücksken hen, dao har se mi henniger äs‘n Blitz dat Füfftigpenningstücksken ut de Hand rieten un sagg: „Dao het Opa sik verdoon,“ schmeet dat Silverstücksen wier in Opa‘s Pottmannee, namm tain Penning harut un gaff se mi.

„Dao häs du denn Gröschken, de Opa di todacht har“. Opa sagg nix datoo un ik was wööst un wane un konn mi garnich wier inkriegen. In‘t Stillen häww‘k dao miene Baßmoder verflöökt, de süss wullne bestguete Frau was. Owwer graut upleenen konn ik mi auk nich. Ik sin vüör Vernien in‘n Stall buoßen, häww met n‘ graut Meß miene schöene Fackel kaputtschien un an den Siegen verfoert.

Mit freundlicher Genehmigung von Hans Sasse aus seinem Buch:

N haugen Posten, dicket Gehaolt un däösig! ISBN 3-8311-1207-X



Übersetzung ins Hochdeutsche:

Allerheiligentag

Der Allerheiligentag neunzehnhundertdreiunddreißig war ein grauer, fahler Novembertag, an dem es gar nicht recht hell werden wollte. Es war nicht gerade nebelig, aber etwas dunstig, so dass es auch bald wieder dunkel war.

Ich war im Sommer zehn Jahre alt geworden, als mein Großvater (Opa) mittags nach dem Essen zu mir sagte: „Du kleiner Junge, wir müssen mit der Ziege zum Bock. Geh man mit, hin läuft sie ja ganz gut, aber zurück, da musst du sie mir ein bisschen treiben.“ Was blieb mir übrig, ich musste mit.

Nachmittags, so um halb vier herum, zogen wir beide mit unserer Ziege los. Opa hatte sie am Strick und ich lief ihnen hinterher. Die Bockstation vom Ziegenzuchtverein lag hinterm Jahnplatz und wir mussten mit der Ziege am Friedhof vorbei. Die ersten Kinder gingen bereits mit ihren Fackeln los. Ich wäre auch lieber mit meiner Fackel zum Friedhof gegangen. Aus einer Runkel hatte ich mir eine schöne Fackel gemacht. Selbst Oma, die sonst nicht viel sagte, meinte: „Die haste aber wirklich fein gemacht.“

Und ein bisschen peinlich war es mir auch, dass wir gerade an solch einem Feiertag mit unserer Ziege losgehen mussten.

Unterwegs frug ich Opa: „Du Opa sag mir, warum müssen wir den eigentlich zum Bock?“

Er schaute mich groß an, grinste etwas verlegen, und sagte:“ Ach, Junge, was kannst du dumm fragen. Das weißt du doch, dass die Ziegen im Winter keine Milch geben, und wenn sie trocken stehen, dann geht man damit zum Bock, dass sie im Frühjahr wieder kalben (kleine Ziegen gebären).

Ich habe dann nicht mehr wieder gefragt, weil ich den Groschen (10 Pfennig), den er mir sonst wohl gab, wenn ich ihm einen Gefallen machte, nicht aufs Spiel setzen wollte. Denn aus der Art, wie er das gesagt hatte, wusste ich, dass ich nun den Mund halten musste.

Als wir dann in die Nähe der Bockstation kamen, stieg mir der scharfe Geruch von den Ziegenböcken in die Nase. Opa band die Ziege außen am Ring an der Hauswand an und wir beide gingen ins Haus hinein. Der Ziegenvater saß in einem Sessel hinterm Tisch und war am Kaffeetrinken.

„Jans (Hans), bist du auch da mit deiner Ziege“ begrüßte er meinen Opa.

„Ja“, meinte er, „sie ist brünstig, und den Schnellen da – er wies auf mich – den habe ich mitgebracht, dass er sie mir zurück ein bisschen antreibt. Du weißt doch, wir haben ein ordentliches Ende (weiten Weg) zu laufen.“ „Das ist wirklich ein weites Ende bis zu dir“ sagte die Ziegenmutter, die am Herd beim Kaffeekessel stand.

„Du hättest dir doch einen Handwagen mitbringen sollen“ sagte der Ziegenvater,, „das tun die Anderen auch wohl für den Rückweg“. „Bist nicht bei Trost, Bernd“, entgegnete Opa, „an einem hohen Feiertag mit einem Bollerwagen und dann noch am Friedhof vorbei? Nein, nein, wenn Jänsken (kleiner Jans = Hans) sie zurück ein bisschen treibt, dann soll das wohl gehen“. „Ja, dann warte mal einen Augenschlag (Moment), ich muss eben Kaffeetrinken“, meinte der Ziegenvater.

Vor sich auf dem Tisch hatte er eine Schale(Tasse, Napf) mit Kaffee stehen und auf einem Teller lag ein Schinkenbutterbrot. Auf der linken Schulter, so halb auf dem Arm hatte er einen mächtig großen Kater liegen. Ich wusste nicht was ich sah, er ließ die Katze von seinem Butterbrot abbeißen. Wenn mir das jemand erzählt hätte, ich hätte geglaubt, dass er mich für einen Knirps halten wollte. Als der Ziegenvater und seine Katze dann fertig gegessen hatten, trank er seine Schale aus, ließ die Katze von seinem Arm springen, putzte mit dem Hemdsärmel den Mund ab, stand auf und sagte: „So Jans, nun lass uns man erst mal schauen“und zu mir: „Junge, du musst aber hier bleiben“. Nun saß ich mit der Ziegenmutter alleine in der dämmerigen Wohnküche. Sie wollte mir ein Plätzchen geben. Das wollte ich nicht haben. Ich weiß es nicht mehr, mochte der abscheuliche Bockgestank sein, der in allen Ecken (Pfosten) saß, von dem ich die Nase voll hatte, während ich zusehen musste, als er die Katze mit seinem Butterbrot gefüttert hatte. Dann bot sie mit einen Apfel an. Den habe ich angenommen, um sie nicht ganz vor ihren Kopf zu stoßen.

Nach einer Weile kam der Ziegenvater wieder herein und sagte zu mir: „So Junge, nun geh man nach draußen, Opa wartet bereits auf dich“.

Es war bereits dunkel geworden, als wir mit unserer Ziege wieder am Friedhof vorbeikamen. Opa lief vorne und ich hinter der Ziege. Da kamen uns die vielen Leute entgegen und die Kinder alle mit ihren Fackeln. Und dabei kam mir meine schöne Runkelfackel in den Sinn, die ich mit soviel Arbeit gemacht hatte und die so schön leuchtete, wenn ich eine Kerze darin angesteckt hatte.

Wir mussten zwischendurch stehen bleiben, weil der Ziege das Laufen etwas Mühe machte. Nun, das lässt sich denken, wenn eine Ziege, die das ganze Jahr in einem Stall steht, auf einmal so einen weiten Weg machen musste.

Wir kamen aber gut zu Hause wieder an, brachten die Ziege in den Stall und gingen hintenherum in die Küche. Da stand Oma und sagte: „Seid ihr alle wieder da? Ist sie zurück gut gelaufen?“

Da griff Opa in die Tasche und zog sein Portemonnaie heraus, kramte in seinem Kleingeld herum und gab mir ein Fünfzigpfennigstück. Ich war erstaunt. Fünfzig Pfennig, das war viel Geld und ich sprang vor Aufregung von einem Bein auf das andere. Oma fragte neugierig: „Zeige, was hat er dir gegeben.“ Ich hielt ihr arglos meine Hand mit dem Geldstückchen hin, da hat sie mir schnell wie ein Blitz das Fünfzigpfennigstückchen aus der Hand gerissen und sagte: „Da hat Opa sich vertan“, schmiss das Silberstückchen wieder in Opas Portemonnaie, nahm zehn Pfennig heraus und gab sie mir.

„Da hast du den Groschen, den Opa dir zugedacht hat“. Opa sagte nichts dazu und ich war stark enttäuscht und konnte mich gar nicht wieder einkriegen. Im Stillen habe ich meine Oma verflucht, die sonst wohl eine sehr gute Frau war. Aber groß auflehnen konnte ich mich auch nicht. Ich bin vor Wut in den Stall gehastet, habe mit einem großen Messer meine schöne Fackel kaputt geschnitten und an die Ziegen verfüttert.

Hans Sasse