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Dies und das

Der Mann mit dem Ehrenamt


Eine Weihnachtsgeschichte von Winfried Brumma




"Der Mann mit dem Ehrenamt": Weihnachtsgeschichte

Ein Tag vor Weihnachten und es war bitterkalt draußen. Nichts, aber auch gar nichts deutete auf irgendetwas Besonderes hin, das Wetter war trübe und die Straße nass. Die Frau wischte mit dem Staubtuch ein wenig auf der Fensterbank hin und her, aber sie war nicht bei der Sache.

Wenn es wenigstens schneien würde, so wie sich das gehörte zu dieser Zeit ... aber freilich, sie hatte zwar an jedes Fenster einen Stern mit wechselndem Farblichtspiel gehängt, doch die Stecker baumelten lose. Sie hatte sie nicht einmal eingesteckt dieses Jahr.

"Wozu auch?", dachte sie sich. Niemand würde sie besuchen kommen an diesem Fest, die Kinder waren weit weg, irgendwo in Spanien. "Wir wollen dem Trubel ausweichen, Mutter. Das ganze Trara um Weihnachten ist doch nichts weiter als Geschäftemacherei. Wir schicken dir eine Karte."

Dass die Tochter mit ihrer Familie nichts mit diesem Feiertag zu tun haben wollte, schloss allerdings die langen Wunschzettel der Enkel nicht aus. Die hatten sich Sachen von Omi gewünscht, deren Namen sie nicht einmal aussprechen konnte. Und irgendwie war sie auch nicht gewillt gewesen, mit einem akribisch geschriebenen (Computerausdruck der Kinder) Zettel in die Geschäfte zu ziehen. Sie hatte einfach das Geld in einen Umschlag gesteckt und übergeben. Es war ihr gleichgültig gewesen. Wenn zu Weihnachten niemand hier war, der Geschenke auspackte und mit ihr zusammen aß, wozu dann die Umstände?

Müde wandte sie sich vom Fenster ab und ging in den Flur, um ihren Mantel überzustreifen. Ein oder zwei Kleinigkeiten brauchte sie denn doch noch, schließlich konnte sie über die Feiertage nicht schnell in den Laden gehen, um etwas Vergessenes einzukaufen. Weit war es ja nicht, und ein wenig Bewegung tat ihr nur gut. Entschlossen zog sie ihre Hand, die schon nach dem Autoschlüssel greifen wollte, wieder zurück und verließ das Haus. Im Vorbeigehen grüßte sie ihren Nachbarn, der mit seinem betagten Hund nach Hause strebte. Witwer war er, wie sie glaubte gehört zu haben. Ein ruhiger Mensch, der nie irgendwie in Erscheinung trat und immer höflich war. Tatsächlich lüpfte er wie immer die Mütze und gab den Gruß zurück, wie immer streichelte sie kurz den Hund und ging zielstrebig weiter.

Als die Frau eine halbe Stunde später wieder vor ihrer Haustür stand und in ihrer Einkaufstasche nach dem Schlüssel suchte, hörte sie hinter sich ein Räuspern. Erschreckt fuhr sie herum, und prallte fast gegen einen ziemlich dicken und alten Mann im Weihnachtsmannkostüm. "Oh nein, nicht schon wieder einer, der mit der Sammelbüchse rasselt", dachte sie, tastete aber trotzdem ergeben nach ihrer Börse. "Einen wunderschönen Abend wünsche ich, junge Frau", meinte da der Alte mit tiefer und sehr angenehmer Stimme, die hinter dem weißen Bart hervorkam. Der sah übrigens ziemlich echt aus, fast wie gewachsen. "Wofür wollen Sie denn eine Spende?", fragte sie, "Ich habe nicht viel Zeit." Dröhnendes Lachen war die Antwort, was in der Frau den Gedanken auslöste, dass sie es mit einem Irren zu tun haben könnte. "Ich will doch nichts von Ihnen, eher im Gegenteil, meine Liebe. Ich bringe Ihnen Ihr Weihnachtsgeschenk."

Diese Kundenfängerei wurde immer dreister, das konnte ja nicht angehen, und so sagte sie kühl und mit hochgezogenen Brauen zu dem gemütlichen rotbackigen Weihnachtsmannersatz: "Sicher, und da macht Santa Claus Hausbesuche bei älteren Frauen. Nur um sie völlig selbstlos zu beschenken, weil er genau für so etwas Zeit hat." Da legte der Alte den Kopf schief, und sah sie über die randlose Nickelbrille, die er trug, verschmitzt an.

"Den Job habe ich aufgegeben, junge Frau. Es besteht kein Bedarf mehr dafür. Es ist weitaus einfacher für euch, einen Bestellzettel auszufüllen oder etwas online zu kaufen. Die Kinder warten schon lange nicht mehr auf meinen Besuch und die ganze Angelegenheit hat sich sehr verändert, wenn ich das so sagen darf. Aber das Nichtstun ist nichts für mich, meine Liebe, und so arbeite ich noch etwas nebenher ... ehrenamtlich sozusagen. Weil es mir Spaß macht, und weil ich endlich die Gaben verteilen kann, die ich will." Mit diesen Worten kramte der rot gekleidete Alte in einem Sack, der ziemlich leer aussah und den die Frau jetzt erst bemerkte.

Eigentlich sollte sie diesem Kerl ja die Tür vor der Nase zuschlagen, aber er hatte sie neugierig gemacht. „Aha! Breuer Franz, sagt Ihnen das vielleicht etwas?“ Die behandschuhte Hand des Mannes war mit einem Zettel wieder aus dem Sack aufgetaucht, und von diesem las er nun den Namen vor.

"Mein Nachbar vom Haus nebenan", erwiderte sie verwundert, "... was ist denn mit ihm?"

"Was mit ihm ist? Nun, er hat sich das Gleiche gewünscht wie Sie für dieses Weihnachten. Er will das Fest nicht alleine verbringen. Er hat niemanden mehr außer seinem Hund und ihm graut vor dem morgigen Tag. Genau wie Ihnen." Diese letzten Worte klangen geradezu spitzbübisch, und dann brachte der Alte sein Gesicht nah an ihres (wobei sie bemerkte, dass der weiße Bart tatsächlich echt war) und meinte: "Sie haben doch alles daheim, was zu einem wirklich schönen Weihnachtsessen gehört, nicht wahr? Warum klingeln Sie nicht drüben? Er wird sich freuen."

In diesem Moment war das Licht im Fenster von Herrn Breuer angegangen, und fasziniert starrte sie hinüber. "Ja, warum eigentlich nicht", dachte sie. Und als sie sich umdrehte, war da niemand mehr neben ihr – kein Mann im Weihnachtsmannkostüm mit Bart und Gabensack. Der Mann mit dem Ehrenamt war einfach verschwunden.

Einige Zeit starrte die Frau auf die Stelle, an der er vor Sekunden noch gestanden hatte, dann stellte sie ihre Tasche ab und ging zur Tür des Nachbarhauses, um zaghaft zu schellen. Als sie eine halbe Stunde später die Lichtersterne anschaltete, lächelte sie noch immer über die offenkundige Freude, die Herr Breuer gezeigt hatte. Er war sehr nett gewesen und auch verlegen, aber er würde "gerne, sehr gerne kommen", wie er strahlend gesagt hatte. Und während sie sich verwundert fragte, wieso sie nicht von selber auf den Gedanken gekommen war, ihn einzuladen, bemerkte sie, dass es in dicken Flocken schneite.

© "Der Mann mit dem Ehrenamt": Weihnachtsgeschichte von Winfried Brumma (Pressenet), 2010.
Foto: Katrin Schindler/www.pixelio.de

Anmerkung der Redaktion:
Kennen Sie vielleicht auch einen netten Menschen in Ihrer Nähe, der Weihnachten alleine verbringt? Warum laden ihn nicht zu sich ein?